Nicht-Identifikation

Nicht-Identifikation


Die Identifikation und das Ausdrücken von negativen Gefühlen sind die größten Hindernisse auf dem Weg zu wahrer Selbsterkenntnis. Was ist mit Identifikation gemeint? Um das zu verstehen, müssen wir die Konstitution des Menschen verstehen; dass wir neben dem grobphysischen Organismus auch eine Ätherhülle, eine Emotionalhülle, eine Mentalhülle und eine Kausalhülle haben. Wir müssen den Grund dafür verstehen, warum wir diese Hüllen haben, und wer die Hüllen hat. Um dies zu verstehen, müssen wir Einsicht in die Reinkarnation und den eigentlichen Zweck davon gewonnen haben.


Der Zweck des ewigen Ichs, der Monade, besteht darin, in jeder Inkarnation neue Hüllen anzunehmen, um durch diese zu lernen und sich zu entwickeln, sich von den niederen Hüllen zu befreien und höhere Hüllen zu erlangen. So lange wir uns mit niederen Hüllen identifizieren, mit dem Organismus, oder mit unseren Gefühlen oder Gedanken, können wir uns nicht von ihnen befreien und werden auch keinen Erfolg dabei haben, uns weiterzuentwickeln. Jede wirklich zielgerichtete Anstrengung, sich als Mensch zu entwickeln, muss daher Nicht-Identifikation beinhalten, das heißt, das Wissen und die Erkenntnis, dass wir weder unsere Gefühle noch unsere Gedanken sind.


Das wahre Selbst in uns, die Monade, wurde während der Periode im Meschenreich mit einer Kausalhülle als vorübergehende Heimat ausgestattet, und zwar für Millionen von Jahren, aber dies ist die Hülle, in der wir jetzt zentriert sind und in der wir Selbstbewusstsein erlangen werden. Diese Kausalhülle ist diejenige, die nach dem physischen Tod und später nach der Auflösung der emotionalen und mentalen Hüllen unsere wertvollsten Erfahrungen aufbewahrt, die in den latenten Fundus zukünftiger Inkarnationen eingehen. Das Ziel des Menschen in den Inkarnationen im Menschenreich ist es schließlich, das nächste Naturreich zu erreichen. Der Sinn des Lebens ist die Bewusstseinsentwicklung, um uns vom Niederen zu befrreien, damit wir in das Höhere aufsteigen können. Solange wir uns mit dem Niederen identifizieren, hemmen wir den Gang dieser Entwicklung.


Buddha lehrte uns, dass eine der Ursachen des Leidens Unwissenheit ist. Wenn wir nicht verstehen, wie unsere Hüllen aufgebaut sind und funktionieren, denken wir, sie seien unser "Ich". Doch unsere Hüllen bestehen aus sich selbst entwickelnden Wesen, die ihr eigenes Leben in unseren Hüllen leben, mit dem Ziel das Mineralreich zu erreichen, und je gröber die Schwingungen sind, desto mehr verwickeln sie sich in die Materie. Sie spiegeln die kleinste Schwingung, die in den Hüllen auftritt, um das Tausendfache verstärkt wider. Die Völlerei bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz konkrete Bedeutung, denn sie zeigt den Charakter der sich entwickelnden Wesen, der in ihrem Stadium der Verstrickung ganz natürlich ist. Das erklärt auch die Schwierigkeit, sich von ihrer involutionären Kraft zu lösen, wenn sie unsere ganze Identität ausmacht.


Das bedeutet nicht, dass unsere natürlichen Instinkte von Übel wären, im Gegenteil haben sie unsere allmähliche Evolution durch die verschiedenen Naturreiche auf ganz natürliche und notwendige Weise ermöglicht. Zum Beispiel können wir sehen, wie der natürliche Instinkt, sich der Sonne zuzuwenden, bereits im Pflanzenreich zu beobachten ist. Der menschliche Organismus mit allen internen automatischen Funtionen ist in ähnlicher Weise das Resultat von Äonen der Entwicklung und Verfeinerung.


Erst wenn der Mensch bewusst nach Wissen strebt und versucht, sein Wesen zu veredeln, kann es ihm gelingen, sich von den niederen Anziehungskräften zu befreien. Nur wenn wir wissen, wie unsere Hüllen funkionieren, unsere verschiedenen Funktionszentren, und wie wir immer längere Momente wahren Selbstbewusstseins erreichen können, können wir beginnen, Nicht-Identifikation zu praktizieren, uns weder mit unseren Gefühlen noch mit unseren Gedanken zu identifizieren. Ohne Wissen sind wir nichts weiter als ein Opfer der mechanischen Wirkung unserer Hüllen, identifiziert mit den Höhen und Tiefen unseres Gefühlslebens.


Identifiziert zu sein bedeutet, in Gefühle, Gedanken, Ansichten, Eindrücke, Erinnerungen, Bilder von sich selbst, Geschehnissen, Forderungen nach Berücksichtigung vertieft zu sein, alles, was das beobachtende Selbst völlig abwesend macht. Jedoch was tun wir, wenn Gefühlsstürme aufziehen oder subtile negative Gefühle auftauchen? Es ist absolut nicht gemeint, dass diese unterdrückt werden sollen, aber sie sollten nicht ausgedrückt werden, was etwas ganz anderes ist. Um sie auszudrücken, muss gespeicherte Energie verwendet werden, Energie, die wir in unserer täglichen Arbeit mit uns selbst und unseren Lebensaufgaben besser gebrauchen können.


Wie können wir dann also negative Gefühle nicht unterdrücken, aber auch nicht ausdrücken? Es ist die Arbeit der höheren Funktionen, d.h. die Aufgabe der Gedankenfunktion, die negativen Gefühle zu bearbeiten und zu reflektieren. Wir können uns als außenstehende Beobachter positionieren und über solche Fragen nachdenken wie: „Was ist jetzt eigentlich objektiv geschehen?!, „Warum sind diese Gefühle in mir aufgetaucht?“, „Ist es etwas, das sich wiederholt, das ich aus der Vergangenheit wiedererkenne?“, „Womit identifiziere ich mich in diesem Fall?“, „Bin ich wirklich so, wie ich tief im Inneren bin?“, „Machen sich alte Prägungen bemerkbar?“, „Urteile ich aus Unwissenheit über meine Mitmenschen?“, „Kann ich von anderen erwarten, dass sie über ihre Fähigkeiten hinaus handeln, nur um meine Erwartungen zu erfüllen?“, „Will ich diese negativen Gefühle wirklich?“, „Bin ich bereit, mich zu bemühen, mich von ihnen zu befreien?“, usw..


All dieses innere Ergründen kann erfolgen, ohne dass Außenstehende ahnen, was vor sich geht. Das ist damit gemeint, dass wir negative Gefühle nicht ausdrücken. Astatt Verärgerung oder Wut zu zeigen, in negativen Gefühlen zu schwelgen, die Stimme zu erheben, zu schreien, zu treten, mechanische Kommentare loszulassen, andere zu verärgern usw., können wir diese Gefühle in uns selbst anpacken. Lernen wir die Kunst der Beherrschung, die ein Schritt zur Befreiung von den niederen zur Erlangung höherer Funktionen ist. Durch mentale Reflexion entwickelt sich schließlich die Unberührbarkeit, die bezeugt, dass das Selbst sich nicht länger mit den Hüllen identifiziert, sondern vermag, mit Selbstbewusstsein in der Kausalhülle zentriert zu sein.


Das geht natürlich gegen den Strich der heutigen Psychologie und den populären Therapien verschiedener Art, die kein esoterisches Wissen besitzen. Es liegt an jedem selbst, zu prüfen, zu bestätigen und zu bewerten, was zu echter Entwicklung führt und nicht nur zu einem schönen Gefühl für den Moment, indem man den Gefühlen nachgibt. Die Frage ist, wohin sie führen, ob wir ein Ziel haben, das wir anstreben, und ob die Methode wirklich dorthin führt. Sich im Moment gut zu fühlen, ist kein vernünftiger Leitfaden, denn auf diese Weise lassen sich die Gewohnheiten von Rauchern und Esssüchtigen ebenso rechtfertigen wie alle möglichen Sucht-Tendenzen.


Mit objektivem Wissen über die Beschaffenheit und die Funktionen unserer Hüllen gewinnen wir ein ganz anderes Veständnis für ihre mechanische Aktivität und die Methoden, mit denen wir uns aus dem maschinenmässigen Schlaf befreien können. Dies kann nur geschehen, wenn wir dafür bereit sind. Zuvor darf jeder sein Leben nach bestem Wissen und Gewissen gestalten und da ist die Identifikation mit dem Inhalt der Hüllen und deren Ausdruck ganz natürlich.

Buchtipps

- zur Vertiefung



„Der Vierte Weg”

„Psychologie der möglichen Evolution des Menschen”

von P. D. Ouspensky